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Eine letzte Männerdomäne fällt
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Eine letzte Männerdomäne fällt

  • Das Bremer Eiswettfest hat eine lange Tradition. 190 Jahre lang lautete die Devise: Frauen unerwünscht! Doch das wird sich dieses Jahr ändern. Von Helen Hoffmann
Das Bremer Eiswettfest ist eine Männerdomäne, die bald auch Frauen geöffnet sein wird.

Männer unter sich. Jahrhundertelang dominierten Männer Politik und Wirtschaft. Dass sie zu ihren Veranstaltungen andere Männer einluden, ergab sich von selbst. Um zu verhindern, dass Frauen Teil der Gemeinschaft werden, hielten manche Vereine oder Gesellschaften schriftlich fest, dass nur männliche Personen Mitglied werden können. Doch seit Frauen – die Hälfte der Gesellschaft – in Politik und Wirtschaft kräftiger mitmischen, hat sich die Stimmung gewandelt. Gesellschaftlich relevante Veranstaltungen, die Frauen ausschließen, werden zunehmend als nicht mehr zeitgemäß kritisiert.

Auch Bundespolitiker positionieren sich. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) brachte Ende 2019 eine Steueränderung ins Spiel, nach denen Vereine, die grundsätzlich keine Frauen aufnehmen, nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden sollen. Einige traditionsreiche Vereine hatten zu diesem Zeitpunkt schon reagiert. So nimmt der Hamburger Ruderclub «Allemannia von 1866» seit 2019 Frauen auf. Auch der Aachener Karnevalsverein, der den «Orden wider den tierischen Ernst» verleiht, öffnete sich 2019 für Frauen. 160 Jahre lang durften dort nur Männer Mitglied sein.

Der Brauch der Bremer Eiswette geht auf Bremer Kaufleute zurück, die 1828 wetteten, ob die Weser Anfang Januar 1829 zugefroren sein würde. In diesem Jahr – am 18. Januar – dürfen erstmals Frauen am traditionsreichen Bremer Eiswettfest teilnehmen.
Der Brauch der Bremer Eiswette geht auf Bremer Kaufleute zurück, die 1828 wetteten, ob die Weser Anfang Januar 1829 zugefroren sein würde. In diesem Jahr – am 18. Januar – dürfen erstmals Frauen am traditionsreichen Bremer Eiswettfest teilnehmen. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

In diesem Jahr folgt das traditionsreiche Bremer Eiswettfest – erstmal seit 190 Jahren dürfen Frauen teilnehmen. Am 18. Januar 2020 werden rund 770 Männer in Frack und Smoking sowie 30 Damen in schwarzer Abendgarderobe erwartet, wie der Präsident der Eiswette, Patrick Wendisch, sagte. Die Kriterien seien für Frauen und Männer gleich. «Man sollte in einer gehobenen Stellung in der Wirtschaft und Gesellschaft sein sowie sich als Freundin beziehungsweise Freund der Eiswette erweisen», so der 62-Jährige. Beim Eiswettfest treffen sich geladene Gäste, um nach einem traditionellen Ablauf zu essen, zu trinken und zu singen. Am Abend werden Spenden für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gesammelt.

Der Herrenclub macht mit

Die Öffnung für Frauen erfolgte nach erheblichem politischem Druck. Als im vergangenen Jahr Bremens damaliger Regierungschef Carsten Sieling (SPD) seine Teilnahme wegen einer Trauerfeier absagte, bekam seine Vertreterin, die damalige Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne), keine Einladung. «Wir sind ein Herrenclub, machen diesen Gendergaga nicht mit», sagte Wendisch damals der «Bild»-Zeitung. Eine Äußerung, die Wendisch bereut. «Wir sind nicht gegründet worden, um Damen auszuschließen», sagt er heute. Das habe sich so ergeben.

«Die Rolle der Frauen in der Gesellschaft ist eine ganz andere als früher, deshalb ist es heute richtig, dass sie dabei sind.»

Das Ausmaß der Kritik nach der Nichteinladung von Linnert, die damals Finanzsenatorin war, überraschte die Eiswettgesellschaft. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sagte seine Teilnahme ab, Sieling forderte Wendisch persönlich auf, die Regularien zu überdenken. «Dass Frauen von solchen Traditionsveranstaltungen ausgeschlossen werden, ist völlig aus der Zeit gefallen.» Auch der Bremer Landtag bezog Stellung. Per Beschluss forderte er männliche Vertreter des Senats, der Bürgerschaft, der Verwaltung und von Gesellschaften auf, so lange nicht mehr am Eiswettfest teilzunehmen, bis der Ausschluss von Frauen als Repräsentantinnen Bremens aufgehoben wird.

Überfällige Entscheidung

Die Eiswettgesellschaft empfand dies als übergriffig und hat für dieses Jahr erstmals seit vielen Jahrzehnten kein Bremer Senatsmitglied eingeladen. «Ich würde mir wünschen, dass die frei gewordenen Stühle durch Frauen besetzt werden», sagte Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD).

Aus Sicht vieler Beobachter war die Öffnung für Frauen überfällig. «Das Eiswettfest mit 800 geladenen Gästen und einiger Prominenz aus Bundespolitik, Wirtschaft und Gesellschaft mag formal eine private Feier sind, de facto aber ist es ein gesellschaftliches Großereignis, noch dazu für einen überaus guten Zweck», sagt Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm.

«Frauen auszuschließen nur weil sie Frauen sind, ist diskriminierend.»

Aus Sicht der Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky wird der Druck auf gesellschaftlich bedeutende Vereine und Veranstaltungen, die Frauen ausschließen, weiter steigen. «Es hat sich eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit entwickelt – da gibt es, glaube ich, kein Zurück mehr», sagte die Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem seien Frauen in vielen Bereichen auf wichtigen Positionen – es sei unsinnig, sie von wichtigen Netzwerken auszuschließen. «Man verliert unheimlich viel Expertise, Einblick, Erfahrungen, Können und Potenzial, wenn man Frauen ausschließt, nur weil sie Frauen sind.»

Frauen als reguläre Gäste

Auch bei der seit rund fünf Jahrhunderten ausgerichteten Bremer Schaffermahlzeit wollten Männer lange unter sich sein. Seit 2015 sind Frauen regulär als Gäste zugelassen. Die Veranstaltung im Rathaus ist eine der traditionsreichsten in Deutschland und dient dem Austausch zwischen Handel, Schifffahrt, Industrie und Politik. Zudem werden Spenden für die Bremer Stiftung Haus Seefahrt gesammelt.

Dass es auch anders geht, zeigt das Matthiae-Mahl in Hamburg, das seit 1356 gefeiert wird. Nach Angaben des Hamburger Senats sind Frauen dort seit dem 17. Jahrhundert als gleichberechtigte Teilnehmer zugelassen. Die genaue Datierung sei schwierig, sagt Senatssprecher Marcel Schweitzer, aber vieles spreche für das Jahr 1622.

(MAG9/dpa)

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