«Diese verdammten Ängste»: Ein furchtloses Interview mit Ursula Karven
- Das Schicksal hat es oft nicht gut mit ihr gemeint – doch die Schauspielerin ist immer wieder aufgestanden. In ihrem Buch gibt sie hilfreiche Anleitungen für den Umgang mit inneren Dämonen, die uns so oft im Nacken sitzen. Von Anke Sieker

Anke Sieker ist Journalistin und lebt in München.
Der Herzschlag beschleunigt sich, eiskalte Schauer laufen über den Körper! Es gibt viele Anzeichen für Angst, doch jede davon ist unangenehm. Im Interview erzählt Schauspielerin und Autorin Ursula Karven, wie sich Betroffene ihrer Furcht stellen können.
Yoga, Schicksal und mehr Mut
Bei einem Reitunfall bei Dreharbeiten 2015 haben Sie sich den Halswirbel gebrochen und mussten schlimme Ängste um Ihre Heilung durchstehen. Was hat dieses dramatische Ereignis im Nachhinein mit Ihnen gemacht?
Mir ist aufgefallen, dass man eigentlich in der schlimmsten Verzweiflung und im schlimmsten Unglück seine größten Stärken finden kann. Das hat wahrscheinlich etwas mit Hingabe zu tun. Es gibt Situationen im Leben, die Sie nicht ändern können. Und wenn Sie sich auf diese Situation einlassen müssen, finden Sie oft ungeahnte Kräfte. So war das auch bei mir.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Übungen, um sich seinen Ängsten zu stellen und diese loszulassen. Wie sehen Ihre persönlichen täglichen Übungen aus?
Nachdem ich inzwischen seit rund 25 Jahren Yoga praktiziere, bin ich tatsächlich ziemlich diszipliniert jeden Tag auf der Yogamatte. Und wenn ich mal ein paar Tage aussetzen muss, merke ich sofort, dass mir die Zeit fehlt, die ich brauche, um mich zu sammeln und zu fokussieren. Meine tägliche Übung ist also immer die Fokussierung auf das Jetzt. Wenn Sie es schaffen, sich weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft aufzuhalten, sind die meisten Ängste wie von selbst weg. Dann fragen Sie nicht: «Was wäre gewesen?» oder «Was wird sein?»

Durch diese Achtsamkeitsübungen schule ich meinen Geist und die Erkenntnis, wann ich gedanklich abdrifte. Die Kunst ist, sich dabei zu erwischen, wenn Sie wieder mal Welten in Ihrem Kopf aufmachen und darin versinken. Das können Sie üben. Sie können das Gehirn trainieren wie einen Hund.
Wie schwer fällt Ihnen das Loslassen?
Das ist wohl für niemanden leicht. Wenn Sie ehrlich sind, können Sie sowieso nichts anderes machen, als sich Ihrem Schicksal hinzugeben. Hingabe ist nur ein anderes Wort für Loslassen. Das Leben hat eben den einen Plan, wir haben den anderen Plan und letztendlich ist es so: Je weniger wir mit dem gegensätzlichen Plan hadern, desto besser ist es. Wir haben ja auch keine andere Wahl.
Glauben Sie an Schicksal?
Wenn Sie etwas wirklich wollen und lieben, wird es auch geschehen – davon bin ich überzeugt.
Und manchmal kommen die Dinge dann sogar von selber auf einen zu…
Das sind dann die Momente, in denen Sie die Zeichen auch lesen und sich darauf einlassen müssen. Die große Kunst ist, diese Zeichen auch zu erkennen. Und wann es sich lohnt, loszulassen oder zu kämpfen. Je mehr man übt, sein eigenes Bauchgefühl, seine Grenzen und Zweifel zu hinterfragen, desto leichter funktioniert das auch. Generell ist es so bei mir: Wenn ich ein schlechtes Gefühl bei einer Sache oder einem Menschen habe, nehme ich davon Abstand. Und dazu stehe ich auch, weil ich in den meisten Fällen bestätigt werde.

Was machen Sie, wenn Sie nachts zum Grübeln kommen, sich im Gedankenkarussell verlieren?
Sie können Ihrem eigenen Gehirn tatsächlich «Stopp!» sagen. Das gilt gerade bei unbegründeten Ängsten, die nur in Ihrem Kopf stattfinden. Dazu habe ich auch eine sehr simple Übung in meinem Buch, die vor allem nachts, wenn Sie wach liegen, super effektiv funktioniert: Sie zählen gedanklich von 1.000 abwärts. Die Konzentration, die Sie dafür aufwenden, beruhigt die Gedankenmaschine im Kopf, lenkt von unbegründeten Ängsten ab und bewirkt, dass die Adrenalin- und Kortisolausschüttung gestoppt wird.
Sie schreiben, dass Sie sich nach Ihrem Unfall getrennt haben – sprechen dabei von der Erkenntnis, dass Sie in Ihrer Partnerschaft zu viele Kompromisse eingegangen sind.
Ich habe festgestellt, dass ich viel zu viel Angst vor dem Alleinsein hatte. Ich konnte mich nicht aus meiner Komfortzone bewegen, obwohl ich mir ehrlich eingestehen musste, dass ich nicht glücklich war. Es gibt sicherlich viele Paare, die sich, aus Angst vor dem Alleinsein, nicht trennen. Doch Ihr Glück können Sie nur selbst in die Hand nehmen. Im Grunde sind wir doch alle allein, sollten jedoch darauf achten, dass der Zustand des Alleinseins ein All-Eins wird. Solange die Kinder klein sind, sind Sie ja sozusagen in einer Serviceleistung. Und wenn diese flügge werden, müssen Sie sich umstellen. Und das können Sie auch lernen.
Sie können auch lernen, lieber allein zu sein, als alleine in einer unglücklichen Beziehung.
Genauso wie Angst im Kopf entsteht, so entsteht auch Mut im Kopf. Und irgendwann ist es so, dass Sie sich gar nicht mehr vorstellen können, in so einem Kompromiss zu leben.
Wie leicht oder schwierig ist es, als Person des öffentlichen Lebens einen Partner zu finden?
Keine Ahnung! Ich bin ein ganz normaler Mensch, wie alle anderen auch. Es ist genauso schwierig oder einfach, wie man es sich selber macht. Auch als Nicht-Prominenter müssen Sie nicht alleine rumsitzen und können, wie etwa meine Freundin, einem Museumsverein beitreten und dabei ganz viele Leute kennenlernen, die sich für Kunst interessieren. Sie können in die Volkshochschule gehen, gemeinsam mit anderen Menschen Sprachen lernen, Reisen unternehmen… Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, um Menschen zu treffen.
Was halten Sie von Internet-Bekanntschaften?
Ich finde es großartig, dass es auch über solche Wege funktionieren kann. Ich denke, die nötige Vorsicht und den Instinkt müssen Sie dabei natürlich mitbringen. Auch hier braucht es Bauchgefühl.

Sie sprechen im Buch über Ihre diversen Ängsten, auch vor dem beruflichem Abstieg. Was das Berufliche betrifft, sind Sie doch wahnsinnig vielseitig, fleißig und erfolgreich. Mussten Sie sich trotzdem je finanziell Sorgen machen?
Auch wenn es niemandem aufgefallen ist: Ich habe nach meinem Unfall drei Jahre lang überhaupt nichts gedreht. Ich brauche Ihnen sicher auch nicht zu erzählen, wie viele unglückliche Menschen es im Showbusiness gibt. Das ist ein ganz schwieriges Umfeld, um seelisch gesund zu bleiben. Dafür muss man schon sehr nah bei sich bleiben. Man muss sich klar darüber sein, was man möchte, was einem gut tut und was einen glücklich macht.
Haben Sie nach Ihrem Unfall einen besonderen Ehrgeiz entwickelt, der Sie angespornt hat?
Nein! Ehrgeiz ist kein Motiv, das mich leitet. Ich habe dagegen glücklicherweise eine Fähigkeit, wieder aufzustehen und das, was mir geholfen hat, zu teilen. Das mache ich auch super-gerne. Vielleicht ist das sogar meine Aufgabe im Leben. Und eigentlich sind meine Projekte meist aus Nachfragen entstanden. Nachdem mich ständig Leute auf meinen Schmuck angesprochen haben, entwickelte ich meine eigene Schmuck-Kollektion «Divine Flower». So entstand auch meine Yoga- und vegane Modekollektion. Ich arbeite auch nur in dem Tempo, das mir gut tut, mache nur Sachen, die sich gut anfühlen und überfordere mich auch nicht mehr. Oft entsteht aus dem einen das andere. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen, aber wenn sie kommen, springe ich auch auf die Welle.
Erzählen Sie mir etwas über Ihre vegane Mode.
Momentan arbeite ich mit meiner Schwester und einem Team von zwei weiteren Frauen zusammen. Und da unser kleines Unternehmen recht erfolgreich ist, werden wir sicher noch wachsen. Wir geben uns Mühe, nur Dinge zu machen, die der Welt keine Ressourcen rauben und produzieren deshalb auch keinen neuen Müll, sondern recyceln und säubern den alten.
Das heißt, unsere vegane Mode stellen wir aus recycelten Fasern aus dem Meer, sprich Plastikflaschen, in Verbindung mit Pflanzenfasern, wie etwa Zellulosefasern aus Buchenholz, her.
Es gibt inzwischen sogar Fasern aus Minze und allen möglichen anderen Pflanzen. Also ein ganz spannendes Gebiet. Im Klartext: Der Plastikmüll wird aus dem Meer und von den Küsten gesammelt, geschmolzen, zerkleinert und zu Polyester-Fäden verarbeitet. Mit einigen unserer Modelle sind wir sogar weltweit die ersten, die das gemacht haben. Das macht mich sehr stolz. Wir wollen also so nachhaltig wie möglich sein und lernen hier immer wieder dazu. Ich könnte mir auch überhaupt nicht vorstellen, ein Label zu machen, das Stoffe aus Ländern wie zum Beispiel Bangladesh bezieht – wo die Leute teils unter katastrophalen Bedingungen arbeiten.
Sie machen in Ihrem Buch Menschen Mut, Risiken einzugehen und nicht immer auf Nummer sicher zu gehen. Wie spontan und abenteuerlustig sind Sie selber?
Mut entsteht im Kopf, genauso wie die Angst. Aber spontan ist ein Wort, das ich selten benutze. Spontan ist meist impulsgetrieben und spiegelt meist nicht das große Bild wieder. Ich wünschte, dass jeder Mensch den Mut haben könnte, seine Ängste zu beleuchten. Denn, wenn man seine Angst kennt und versteht, braucht man keine Angst mehr zu haben.
Würden Sie sich als angstfrei bezeichnen?
Nein, natürlich nicht. Ich habe alle möglichen Ängste. Ich kann mich nicht von Existenzangst oder der Angst, allein alt zu werden oder zu sterben, freisprechen.
Aber die Ängste beherrschen mich nicht mehr. Ich kann damit umgehen.
Ich habe meinen «Werkzeugkasten» geordnet, nehme meine Ängste an und kann damit umgehen. Das Thema Älterwerden und der Tod – all dies sind große Lektionen im Loslassen.
Interessant ist auch Ihre These, dass wir unsere Ängste bereits mit den Genen geerbt haben…
Ja, das ist wirklich so. Wissenschaftliche neue Kenntnisse besagen, dass unser Körper unter Schock weniger Eiweiß ausschüttet – was wiederum eine Zeitlang unsere Zellen verändert, was so genetisch weitergegeben wird. Deshalb haben wir alle schon gewisse Schocks und schlimme Erlebnisse unserer Vorfahren in den Genen.
Glauben Sie an Wiedergeburt?
Laut Wissenschaft geht Energie nicht verloren. Deshalb glaube ich hundertprozentig an Wiedergeburt – nur auf einer anderen Ebene. Das sagen auch die Quantenpysiker:
«Natürlich gibt es keinen Tod! Dies ist nur eine Veränderung von Energie.»
Ein Gespräch mit einem Quantenpysiker kann tatsächlich sehr heilsam sein.
Sie waren kürzlich in Tel Aviv. Angeblich auch ein sehr besonderes Erlebnis?
Ja, das war sehr besonders. Ich war vorher noch nie in Israel, obwohl ich ja mit einem jüdischen Mann verheiratet war, also auch meine Kinder dort Wurzeln haben. Vor Ort zu sehen, wo der Ursprung der Religionen liegt, war unglaublich spannend. Es war ein sehr wertvoller Urlaub für mich, der viele Fragen beantwortet hat.
Wie werden Sie Weihnachten und Silvester feiern? Werden Sie an solchen Tagen auch etwas sentimental?
Klar, dieses Jahr habe ich mich allerdings entschieden, zum Fest ein offenes Haus zu haben – für alle Freunde und Bekannte, die Lust haben und/oder einsam sind. Ich habe auch bereits eine große Gästeliste. Und es wird Würstchen (natürlich auch vegane) mit Kartoffelsalat und Getränke geben – und die Türen werden zwischen 19 Uhr bis open end geöffnet sein.
Was wünschen Sie sich fürs nächste Jahr?
Ich wünsche mir, dass es mir noch mehr gelingt, meine Achtsamkeit so zu schulen, dass ich der Stimme in meinem Kopf weniger Beachtung schenke als meinem Bauchgefühl. Also wünsche ich mir, dass ich lerne, noch mehr auf meine Instinkte zu vertrauen und noch achtsamer mit mir zu sein. Der Weg ist das Ziel. (lacht)
(MAG99)
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Anke Sieker ist Journalistin und lebt in München. --- STYLE.MAG99 ist das seit Oktober 2019 neue Onlinemagazin für selbstbewusste Frauen. In unserem VIP-Bereich finden Sie zusätzliche Top-News, Stories und Gewinnspiele. Jetzt Newsletter abonnieren!